Zum Einschlafen zu sagen
Ich möchte jemanden einsingen,
bei jemandem sitzen und sein.
Ich möchte dich wiegen und kleinsingen
und begleiten schlafaus und schlafein.
Ich möchte der Einzige sein im Haus,
der wüsste: die Nacht war kalt.
Und möchte horchen herein und hinaus
in dich, in die Welt, in den Wald.
Die Uhren rufen sich schlagend an,
und man sieht der Zeit auf den Grund.
Und unten geht noch ein fremder Mann
und stört einen fremden Hund.
Dahinter wird Stille. Ich habe groß
die Augen auf dich gelegt;
und sie halten dich sanft und lassen dich los,
wenn ein Ding sich im Dunkel bewegt.
Rainer Maria Rilke
Der Wolkenbaum
Hoch im Dunkel steht ein Wolkenbaum,
darin wohnen hundert Vögel grau,
schmettern stumm ihr geisterhaftes Lied.
Seinen Fuß umfunkelt Wiesentau.
Seinen Stamm umwebert Nebelflaum.
Seinem fahlen Wipfelwerk entflieht der Mond . . .
Christian Morgenstern